Dienstag, 27. August 2019

Bemerkungen zu urgerm. *skatta-

Eine der vielen germanischen Wörter ohne eine überzeugende und gemeinhin akzeptierte Etymologie ist urgerm. *skatta-. Am urgermanischen Rekonstrukt besteht wegen der Fortsetzer got. skatts m. 'Geld(stück), Mine; ἀργύριον, δηνάριον, μνᾶ', ahd. skaz 'Schatz, Reichtum, Geld(betrag/schatz/stück/summe/truhe), Vermögen, Besitz, Ware, Gewinn, Münze, Denar, Zensus', as. skatt m. 'Besitz, Geld, Münze', andl. skat m. 'Geldsumme, Betrag', afries. sket, skat m./n. 'Schatz, Geld, Besitz, Vieh (bes.) Rind, Wert, Zahlungseinheit', ae. sceatt m. 'Schatz, Geld, Besitz, Reichtum, Münze, Zahlung, Preis, Tribut, Bestechung', und aisl. skattr m. 'Steuer, Abgabe, Schatz' kein Zweifel.

Neben der fehlenden klaren Anbindung sind des Weiteren zwei Punkte problematisch: 1. Wie ist das semantische Verhältnis zwischen 'Geld' und 'Vieh' zu erklären ('Vieh' > 'Geld' in allen germanischen Sprachen, mit erhaltener älteren Bedeutung nur im Altfriesischen oder Entwicklung 'Geld' > 'Vieh' nur im Altfriesischen?); 2. Wie ist das etymologische Verhältnis zur Wortgruppe um aksl. skotъ m. 'Vieh, Geld'.

In der Literatur wird heute gemeinhin und sicher zu Recht angenommen, dass die Wortgruppe im Slawischen aus dem Germanischen entlehnt ist und nicht mehr (wie hauptsächlich in slawistischer Literatur), dass der Entlehnungsweg vom Slawischen ins Germanische führt (zu den Bedenken dagegen vgl. etwa Schuster-Šewc, Hist.-et. Wb. d. Sorb. 1297; Pronk-Tiethoff 2013: 145f.), oder dass beide Wortgruppen aus einer gemeinsamen Quelle stammen (was bei einer fehlenden etymologischen Anbindung möglich wäre; eine solche ist aber durchaus vorhanden [s.u.]). Wenn also eine Entlehnung aus dem Germanischen ins Slawische vorliegt, zeigen die entlehnten Formen - aksl. skotъ m. 'Vieh, Geld', aruss. skotъ m. 'Vieh, Besitz, Geld, Abgabe', aruss. dial. (Novgorod) skotъ 'Geld', nruss., ukrain. skot m. 'Vieh', poln. (arch., dial.) skot 'Vieh, polnische Münze', atschech. sk(u)ot m. 'Vieh, Herde', tschech., slowak. skot m. 'Hornvieh', serb., kroat. skȍt m. 'Vieh', slowen. skòt m. 'Tierjunges, Gezücht', bulg. skot 'Vieh', osorb. skót m. 'dss.', ndsorb. skot m. 'dss.', polab. st’öt 'dss.' - deutlich, dass beide Bedeutungen im Germanischen, jedenfalls zur Zeit der Entlehnung vorgelegen haben (die Annahme einer parallelen Entwicklung 'Geld' > 'Vieh' im Altfriesischen und Slawischen ist zwar theoretisch denkbar, aber insgesamt deutlich unwahrscheinlicher). Damit ist gleichzeitig auch Punkt 1 geklärt: Die Annahme, dass im Altfriesischen eine Sonderentwicklung von 'Geld' > 'Vieh' vorliegt, ist wegen den Bedeutungsverhältnissen im Slawischen abzulehnen.

Es bleibt somit nur noch die Frage nach der weiteren Etymologie des Wortes.
Weit verbreitet ist die Ansicht, dass das germanische Wort kein Erbwort, sondern eine Entlehnung darstellt. Diese Ansicht wird zumeist damit begründet, dass die Germanen das Geldprägen von den Römern übernommen haben, das Wort somit kein Erbwort ist (vgl. u.a. Casaretto 2004: 68: "weswegen gerade in diesem Bereich mit einem Lehnwort zu rechnen ist"). Diese Argumentation setzt aber zweierlei voraus: 1. Die Bedeutung 'Münze' ist die ältere, aus der sich die Bedeutung 'Vieh' sekundär entwickelt hat; 2. Es handelt sich um eine Entlehung aus dem Lateinischen (wie ahd. munizza < lat. monēta f. 'das gemünzte Geld, die Münze, der Münzstempel, Stempel, das Gepräge').
Dazu lässt sich folgendes bemerken: Erstens ist es unwahrscheinlich, dass die Bedeutung 'Münze' die ältere ist. Dann müsste man nämlich annehmen, dass aus 'Münze' die Bedeutung 'Vieh' entstanden wäre (was theoretisch analogisch zu den Bedeutungen der Wortgruppe von aisl. 'Vieh, Besitz, Geld' möglich wäre), die beide ins Slawische entlehnt wurden; dann aber wäre innerhalb der germanischen Sprachen die Bedeutung 'Vieh' wieder überall bis auf das Altfriesische verlorengegangen; insgesamt ist das ein unglaubwürdiges Szenario. Zweitens müsste dann eine lateinische Vorlage für urgerm. *skatta- auffindbar sein, was nicht der Fall ist. Der Rückgriff auf eine unbekannte Substratsprache als Quelle für urgerm. *skatta- löst das Problem im Übrigen auch nicht, sondern verlagert es lediglich. (Dass die Annahme einer prinzipiellen Entlehnung bei Münzbezeichnungen im Germanischen aber generell ohne Grundlage ist, zeigen schließlich Fälle wie ahd. pfenning '[Silber-]Münze, Denar, Pennig'.)

Für die Frage nach dem Verhältnis zwischen 'Vieh' und 'Geld' in dieser Wortgruppe sei hier als ein Parallelfall auf die Wortgruppe um ahd. fihu n. 'Nutzvieh, Lasttier, Jochtier, Tier, Besitz, Vermögen' verwiesen. Hier hat sich niemand bisher gewundert, dass die gotische Entsprechung faihu ausschließlich 'Geld' bedeutet. Im Gotischen findet sich von der älteren Bedeutung 'Vieh' keine Spur mehr (vgl. auch die Adjektive got. faihufriks und faihugairns, beide 'geldgierig'). Dennoch ist zu Recht niemand auf die Idee gekommen, für diese Wortgruppe eine Entlehnung (aus welcher Sprache auch immer) anzunehmen, da die Germanen das Geldprägen erst von den Römern übernommen haben. Die Entwicklung von 'Vieh' zu 'Geld' in dieser Wortgruppe in den germanischen Sprachen lässt sich vermutlich am einfachsten durch den Kontakt mit den römischen Verhältnissen erklären, da Besitz bei den Römern eben nicht unbedingt 'Viehbesitz' meinte, sondern hauptsächlich 'Geldbesitz'.
Für die Wortgruppe um urgerm. *skatta- kann man eine genau parallele Entwicklung aus älterem (Vieh-)Besitz' zu '(Geld-)Besitz' annehmen. Es lägen in beiden Fällen Wörter mit einer teilweisen Lehnbedeutung nach römischen Verhältnissen vor.

Es fragt sich also nun, ob urgerm. *skatta- nicht (wie urgerm. *feχu-) ein Erbwort sein kann. Das *-tt- ist für die Etymologie kein Hinderungsgrund, da es auf einer Folge *-D-n´- beruhen kann (es ist hier nicht der Ort, auf die Ablehnung der Lex Kluge durch D. Ringe einzugehen). Es wurden im Laufe der Zeit drei Vorschläge gemacht, die hier zur Sprache kommen sollen:

1. Fick 3 (Germ.)⁴ 448f. verbindet urgerm. *skatta- mit der Vorform vorurgerm. *skat-- mit der Wurzel in lat. scatere 'hervorquellen'; die Wurzel ist wohl uridg. *skeHt- oder *sket- 'hervorspringen' (vgl. LIV² 551; de Vaan, Et. dict. of Lat. 543). Diese Anbindung überzeugt schon semantisch nicht.
2.  Kroonen, Et. dict. of Pgm. 441 wandelt diesen Vorschlag ein wenig ab und stellt urgerm. *skatta- als vorurgerm. *skh1dh-- mit nhd. westfäl. schå(e)n st.v. 'Ertrag geben' (Woeste, Wb. d. westf. Mda. 225) zuammen, das er auf vorurgerm. *skéh1dh-e/o- zurückführt. Wie aber das Nebeneinander der Bed. 'Schaden, (Be-)Schädigung, Verlust' und 'Zins' in mhd. schade sw.m., mndd. schāde m. und mndl. schade (m./f.) zeigt (Lexer 2, 625f.; Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 3, 368 [schāde¹]; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 4, 36; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 7, 200ff.), liegt im Westfälischen lediglich das Verb 'schaden' in der Sonderbedeutung 'Zins ergeben' vor; das ursprünglich schwache Verb ist wohl erst in Analogie zu anderen starken Verben mit dieser Lautstruktur (vgl. etwa westfäl. bråen st. V. 'braten'; Woeste, Wb. d. westf. Mda. 225) sekundär stark geworden, wie sich auch im Mittelhochdeutschen neben der geläufigen schwachen Konjugation bei diesem Verb ebenfalls starke Formen finden: prät. schied, part.prät. geschaden (vgl. die Angabe bei Lexer 2, 627). F. Holthausen, PBB 11 (1886), 552 wollte zwar die beiden Bedeutungsgruppen ‚Schaden‘ und ‚Zins‘ voneinander trennen und setzte daher jeweils zwei Wörter an (mit Anbindung von westfäl. schå[e]n an lat. scatere), was aber nicht notwendig ist, da die Zwischenbedeutung 'Geldverlust, besonders Vermögensnachteil, der durch Verzinsung einer Schuld erwächst' auch belegt ist.
3. Schließlich hatte Krahe 1969: 1, 115 (ältere Vorschläge sind mir bisher nicht bekannt geworden) urgerm. *skatta- auf vorurgerm. *skod(h2)--, zurückgeführt. Dabei liegt mit Lühr 1988: 190. 303. 311 ein (später) substantiviertes Adjektiv zur Wurzel uridg. *(s)kedh2- 'zersplittern, zerstreuen' vor (zu den verbalen Fortsetzern dieser Wurzel vgl. LIV² 550). Diese etymologische Anbindung scheint semantisch am besten geeignet die germanischen Bedeutungen zu erklären. In dem Fall muss man eine semantische Entwicklung von 'abgeteilt' über 'der (bei Vererbung?) abgeteilte (bewegliche) Besitz' = '(Vieh-)besitz' zu (unter römischem Einfluss) '(Geld-)Besitz', 'Geld, Schatz' annehmen. Lediglich in den slawischen Entlehnungen sowie im Altfriesischen wäre die ältere Bedeutung bewahrt.

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