Mittwoch, 9. Dezember 2020

Zur Etymologie von ahd. man 'Mensch, Mann'

Ahd. man m. 'Mensch, (Ehe-)Mann, Diener, Bediensteter, Soldat, Krieger, Gefolgsmann, Held, tapfere, mächtige Person' hat in sämtlichen altgermanischen Sprachen eine Entsprechung: as. mann (Kompositionsform man-) m. 'Mensch, Mann, Gefolgsmann, Ehemann', andl. man m. 'Mensch, Person, Mann', afries. mon, man (-nn-) m. 'Mann, Mensch, Ehemann, Dienstmann, Untergebener', ae. mann, man, monn, manna, monna m. 'Mensch, Mann, Held, Diener', run. (nom.sg.) mąR, (nom.pl.) manR (Stein von Eggja, um 700) m. 'Mann, Mensch', aisl. maðr, mann, mannr m. 'dss.', run.-schwed. mantr m. 'dss.', aschwed. maþer, man, mander m. 'dss.', got. manna (Kompositionsform man[a]-) m. 'Mensch', langob. man m. 'Mensch' (in harimannus m. 'Heermann, Krieger', waldeman m. 'Waldaufseher', [BeiN] Castelmanno 'Burgwart, Burgbewohner'), (in PN) Man(n)-, -man(n)-. Älter ist die Erwähnung in Tacitus, Germania 2,2: lat.-germ. Mannus (der Stammvater einiger germanischen Völker) und das Vorkommen als Bestandteil von VN und PN: Mann-, -mann-.

Etymologisch gehören die Wörter zu ai. mánu- m. 'Mensch, Menschheit, Manu, Stammvater der Menschen', ai. mánuṣ- 'Mensch, Stammvater der Menschen', jav. manuš- (in manuš.čiθra- 'Nachkomme eines Stammvaters *Manuš'), vielleicht, aber unsicher, auch aksl. mǫžь m. 'Mensch', für das es aber auch eine alternative Etymologie gibt (zu alb. mëz 'Fohlen, Füllen').

Die Stammbildung der germanischen und indo-iranischen Formen ist dabei nicht deckungsgleich. Die germanischen Formen setzen (unter einigen Umbildungen) einen uridg. n-St. nom.sg. *mon-ḗn, gen.sg. *mon-n-és, die indo-iranischen Formen einen uridg. u-St. uridg. nom.sg. *món-u-s, gen.sg. *mén-u-s fort.

Für die Etymologie dieser Wörter gibt es in der Literatur drei Vorschläge:

1. Ableitung zu uridg. *men- 'einen Gedanken fassen'; der Mensch wäre dann im Gegensatz zum Tier charakterisiert.

2. Ableitung zu uridg. *men- 'emporragen'; der Mensch wäre dabei nach seinem aufrechten Gang charakterisiert.

3. Die germanischen Wörter sind von den indo-iranischen Formen zu trennen und gehören zu uridg. *dhĝhm-on- 'Irdischer, auf der Erde befindlicher' (das in ahd. gomo m. 'Mensch, Mann' fortgesetzt ist; vgl. noch nhd. -gam in Bräutigam); die germanischen Wörter wären durch Paradigmenspaltung aufgekommen.

Während die dritte Etymologie sowohl aus lautlichen Gründen wie wegen der dabei notwendigen Trennung der germanischen und indo-iranischen Wörter (vornehmlich auch von lat.-germ. Mannus und jav. manuš- [in manuš.čiθra- 'Nachkomme eines Stammvaters *Manuš'], die funktional übereinstimmen) abgelehnt werden muss, scheint eine Entscheidung zwischen der ersten und zweiten Etymologie ohne weitere Evidenz nicht möglich (zu allem bisherigen vgl. die Angaben im Etymologischen Wörterbuch des Althochdeutschen 6, 84-88).

Eine solche neue Evidenz ist nun aber aufgetaucht, und zwar durch die Arbeit im hervorragenden Projekt eDiAna: Digital Philological-Etymological Dictionary of the Minor Ancient Anatolian Corpus Languages. Dort zeigen Elisabeth Rieken, David Sasseville und Andreas Opfermann, dass auch das luwische Wort mannu- 'the fertile, potent, manly condition' zu dieser Wortgruppe mit dazugehört. Dies lässt dann lediglich den Rückschluss zu, dass die gesamte Wortgruppe zu uridg. *men- 'emporragen' gehört (für sämtliche Details zu Etymologie, Wortbildung und Semantik s.d.).

Der alte Streit über Etymologie des Wortes Mann kann somit wohl (?) für beendet erklärt werden.

2 Kommentare:

  1. In der Tat sehr interessant! Für den Ansatz *mónu- gibt es allerdings keine wirklichen Belege, auch das Anatolische zeigt eben nur *ménu-. Und im Vedischen belegt sind nur gewöhnliche "proterokinetische" Formen wie mánave, mánoṣ und Lok. mánau, neben letzterem (2x in VIII) aber auch dreimal manáu in manā́v adhi 'in Manus Gegenwart' in VIII und IX (nicht manó wie in eDiAna, wo man wohl Grassmanns -ō falsch interpretiert hat). Nimmt man das ernst, würde es auf eine klassische proterokinetische Flexion weisen, nicht auf akrostatische. Dazu passt auch die Gestalt des Stammes in Ableitungen wie mānav-á-.

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    1. Vielen Dank für diese Hinweise.
      Für den Ansatz als akrostatischer Stamm, der sich in der Literatur verbreitet findet, ist wohl lediglich die aksl. Form verantwortlich, damit man nur ein Paradigma ansetzen braucht; wenn das aksl. Wort nicht dazu gehört, entfällt in der Tat jeglicher Hinweis auf eine Form *món-u-; auch sonst könnte natürlich eine abweichende Bildung der slaw. Form (wie ja auch beim Germ.) vorliegen.
      Ich habe (auch) ein gewisses Problem mit der in eDIAna angenommene Bedeutungsentwicklung; für die Ausgangsbedeutung 'Mann' sehe ich keinen zwingenden Grund. Im Anatolischen könnte ja wie im Germanischen auch eine Entwicklung von 'Mensch' zu 'Mann' eingetreten sein. Ob somit 'Penis' wirklich der Ausgangspunkt war, bleibt für mich jedenfalls offen.
      Ob dann die Anbindung an *men- 'emporragen' wirklich zwingend ist, bleibt dann natürlich wieder offen (habe den Endsatz daher jetzt etwas geändert).

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