Montag, 7. Dezember 2020

Althochdeutsch secchimgom

In den althochdeutschen Glossen ist Gl. 4,220,21 ein Hapax legomenon secchimgom überliefert, das lat. grabbatis übersetzt. Damit ist klar, dass der althochdeutsche Beleg ein Dativ Singular ist. Die Handschrift, in der der Beleg steht, ist heute verloren; sie wird Anfang des 9. Jh. datiert. Die Glossen selbst sind nur durch eine Abschrift durch Koloman Sanftl im dritten Band auf Seite 1805 seines Catalogus veterum codicum manuscriptorum ad S. Emmeram erhalten.

Die Bedeutung des althochdeutschen Wortes ist klar. Lat. grabatus m. dient nämlich zur Bezeichnung eines niedrigen Ruhebetts für Kranke.

Jedoch ist die überlieferte Form secchimgom nicht weiter anschließbar. Bereits in Anmerkung 4 zu Gl. 4,220,21 hatten Steinmeyer & Sievers zwei Emendationen vorgeschlagen: "verderbtes wort, etwa seochtragom? formell näher läge scechungom, von scecho 'stragulum' gebildet".

Von den beiden Vorschlägen hat es lediglich "scechungom" in die Wörterbücher geschafft. Ein Ansatz sceckunga f. findet sich bei Splett, Ahd. Wb. 1, 837 (sceckunga), Köbler, Ahd. Wb. s.v. skekkunga, Schützeichel, Ahd. Wb. 287 (sceckunga), Schützeichel, Glossenwortschatz 8, 305 (sceckunga) und Seebold, ChWdW9 742 (sceckunga).

Der Alternativvorschlag "seochtragom" wurde offenbar nur von Riecke, Frühgeschichte ma. med. Fachsprache 2, 587 aufgenommen.

Daneben ist in einigen Wörterbüchern ein abweichender Ansatz siohhunga f. vorhanden, vgl. Köbler, Ahd. Wb. s.v. siohhunga (somit dort als Alternative zu skekkunga) und Starck & Wells 527 (siohhunga).

Nun sind aber die beiden Ansätze sceckunga und siohhunga von der Suffixform -unga her semantisch nicht möglich. Denn die feminine Form dieses Suffixes dient (neben ganz vereinzelte Motionsfeminina) ausschließlich zur Bildung von Abstrakta (vgl. Krahe & Meid, Germ. Sprachw. 3, § 152), nicht von Konkreta (vgl. etwa auch mhd. siechunge st.f. 'Kranksein, Hinsiechen'). Die Ansätze sceckunga und siohhunga sind daher aus den Wörterbüchern zu streichen.

Denkbar ist dagegen ein Ansatz als m. a-St., somit eine Bildung mit dem Suffix -ung. Vielleicht hat man gemeint, dass die Endung dat.pl. -om der Überlieferung dagegen spricht. Das ist allerdings nicht der Fall. Diese Endung ist zwar seltener als andere Endungsvarianten, aber dennoch durchaus belegt, wie aus den Angaben bei Braune & Heidermanns, Ahd. Gramm. § 193 Anm. 7 hervorgeht. Im Falle eines Ansatzes sceckung m. a-St. würde das Suffix zur Bildung erweiterter Sachbezeichnungen dienen; Ableitungsbasis wäre ahd. scecko m. n-St. 'Mantel, Überwurf', wohl aus einer älteren Bedeutung 'Decke, Bedeckung'. Die Ausgangsbedeutung von ahd. sceckung wäre wohl etwa 'Deckenartiges', 'mit Decken Versehenes', woraus sich 'Ruhebett' entwickeln konnte. Im Falle eines Ansatzes siohhung m. a-St. läge dagegen eine Sachbezeichnung unmittelbar aus ahd. sioh adj. 'krank, schwach' vor (zur jeweiligen Funktion von -ung vgl. Krahe & Meid, Germ. Sprachw. 3, § 150). Jedoch liegt bei Ableitungen von Adjektiven in der Regel als Bedeutung eine Substantivierung des Adjektivs vor, vgl. etwa ahd. breiting m. a-St. 'Fladen' zu ahd. breit adj. 'weit, flach', also eigentlich 'der flache Gegenstand'; bei siohhung wäre demnach eigentlich 'der kranke Gegenstand' zu erwarten.

Ein Lemmaansatz siohhtrago m. n-St. wäre von der Bedeutung her passend, nämlich als ein Objekt, das Kranke trägt (vgl. ahd. tragabetti als Übersetzung von lat. grabatus). Trotz der Bemerkung von Riecke, Frühgeschichte ma. med. Fachsprache 2, 587: "Die daher vorauszusetzende Verschreibung ist auf der Ebene der Graphien leicht nachvollziehbar", scheint dies eher nicht der Fall zu sein; wie man von -(h)img- zu -trag- kommen soll, bleibt offen.

Da keine der Bildungen fortgesetzt ist, ist eine Entscheidung kaum möglich. Ein Ansatz skeckung scheint aber in Vergleich zu siohhtrago aus graphischen und in Vergleich zu siohhung aus semantischen Gründen wahrscheinlicher.

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